Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung - 1968 - 22.05.2008 - Köln
Gloria, Köln
Rainald Grebe, Marcus Baumgart, Martin Brauer
Rainald Grebe trat mit seinem neuen Programm “1968” und der Kapelle der Versöhnung in Köln auf. Kurz vor dem Einlass standen die Zuschauer dichtgedrängt im Foyer des Glorias und quollen als großer Pulk bis auf den davorliegenden Bürgersteig. Ich sah die vielen Besucher und hatte den spontanen Gedanken, den Bericht besser mit dem Satz: ”Rainald Grebe-Konzerte sind total blöd! Bleibt lieber zu Hause!” zu beginnen. Vielleicht würde sich das herumsprechen und die Konzerte wären nicht so schnell ausverkauft und ich würde immer einen schönen Platz in Reihe Drei oder Sieben finden und alles würde in netten, kleinen Sälen stattfinden und die lauten “Brandenburg!!!”- und “Dörte!!!”- Rufe würden wegbleiben. Konnte doch wohl nicht wahr sein, dass Rainald Grebe nur noch wie ein Geheimtipp aussah, aber keiner mehr war!
Natürlich freute ich mich für ihn, denn seit dem Anfang der Auftritte mit seinen eigenen Programmen waren knapp vier Jahre vergangen und die Zuschaueranzahl und auch die Anzahl seiner Fans war in großen Schritten gewachsen. Für ihn als Künstler war das Bestätigung und Grund zur Freude. In der Vorwoche hatte er für sein “Robinson”-Programm den Salzburger Stier bekommen. Der Hauch von Seriosität und offizieller Anerkennung umgab ihn damit, und das würde ihn noch bekannter machen und weitere Zuschauer anlocken. Und gerade das machte mir Sorge. Wie ging ein nicht-massenkompatibler Geheimtipp mit dem Vorhandensein von Zuschauermassen um? Konnte man schräge, ungewöhnliche Nischenlieder singen, wenn lautstark und textsicher mitgegrölt wurde?
Es war ja nicht so, dass ich für die Zukunft an der Qualität der Programme und der Unabhängigkeit von Rainald Grebe zweifelte, ich wollte nur gerne ganz egoistisch in Zuschauer-Kleingruppen und kleinen Sälen den Geheimtipp genießen und das Gefühl haben, etwas ganz Tolles entdeckt zu haben und zu den wenigen Menschen zu gehören, die überhaupt davon wussten. Mist, das konnte ich inzwischen wohl knicken.
1968. Ein bedeutendes Jahr, ein vielsagender und gleichzeitig recht vager Begriff für alles, was mit langen Haaren, Flower Power, Protest und Revolution zusammenhing. Ein Jahr, in dem Rainald Grebe noch nicht mal geboren war. Aber trotzdem passten für mich die Begriffe “Rainald Grebe” und “1968” zusammen. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, dabei zu sein, dann wäre er mittendrin gewesen, das war mir klar. Ich war neugierig, wie er mit dem Thema umgehen würde, gefühlsmäßig so nahe dran und biologisch einige Jahre davon entfernt.
“Die Achtundsechziger sind an allem schuld!” behauptete er dann auch sofort im ersten Lied und beklagte, dass damals doch alles prima lief, es allen Menschen so gut wie noch nie ging und dann in dieser heilen Welt revoltiert wurde.
Allerdings wollte auch er als Jugendlicher raus aus seiner kleinbürgerlichen Idylle, erzählte er leise und fast privat, und berichtete von seinem entschlossenen, revolutionären Aufbruch nach Berlin, bei dem sein Vater ihn einholte, um ihm das Fahrgeld zu geben. Die Tragik der Geschichte, dass ein befreiendes Abhauen mit dem Verständnis der Eltern und geschenktem Fahrgeld keine wilde Revolution mehr sein konnte, verstanden nicht alle Zuschauer.
Das war der zweite Schwerpunkt des Abends: Wogegen konnten spätere Generationen noch aufbegehren, wenn die 68er schon alles freigeräumt und den Spaß gehabt hatten? Sex, Drogen, Rock ‘n Roll - nichts konnte mehr schocken.
Entlarvend stellte Rainald Grebe fest, dass der Weg aus der Spießigkeit und Biederkeit der sechziger Jahre knappe zwei Generationen später dann doch wieder in gesellschaftlichen Zwängen und Normen geendet hatte. Jetzt waren ‘Kinderjoga’ und ‘Pangasiusfilet’ Zeichen für moderne Angepasstheit, die Ehefrau hörte Klezmermusik beim Bügeln, und Rainald Grebe stöhnte: “Ach, Klaus, Rock ‘n Roll sieht anders aus!”
Musikalisch begleitet wurde er am Abend von Marcus Baumgart an der Gitarre und Martin Brauer am Schlagzeug, der bewährten und extrem guten “Kapelle der Versöhnung”. Es machte wirklich Spaß die Vielfältigkeit und das Können der Musiker zu erleben, die sich selber szenisch sehr im Hintergrund hielten und nur hin und wieder dezent, aber sehr cool im Geschehen mitspielten oder Angriffspunkt von bissigen Bemerkungen Rainald Grebes wurden.
Rainald Grebe, selber immer auf der Flucht vor der Provinzialität, die er trotzdem in seiner äußeren Erscheinung auf der Bühne gerne darstellte, - wo konnte man eigentlich noch solche Klamotten kaufen? - schien zu bedauern, dass seine Generation kampflos aufwachsen musste. Es gab nichts mehr, um das man hart kämpfen musste und es wollte auch keiner mehr kämpfen. Alles war Watte und Rundumversorgung. Wie konnte diese bequeme und kampfesunwillige Generation etwas erreichen, etwas in der Weltgeschichte verändern?
Er tauchte in die Geschichte ab, hatte Texte mit doppeltem Boden, hintergründige, bissige Bemerkungen und scharfe Gedanken. Vieles, das auf den ersten Blick lustig wirkte, war es mal wieder gar nicht, aber natürlich gab es auch gnadenlos alberne Szenen und viel Witz und Komik. Mal erzählte er ganz sanft oder sang mit gebrochener Stimme melancholisch und berührend, mal brüllte er mit voller Power heraus. “Es gibt kein richtiges Leben im falschen”, war die Aussage und der Rock ‘n Roll war ein Symbol für Unabhängigkeit und Freiheit. Entweder hatte man den Rock oder nicht. Den konnte man nicht lernen. Den Stecker vom Synthesizer zu ziehen, um das Gerät aus Umweltschutzgründen nie im Standby-Modus zu lassen, galt nicht.
Im Vergleich zu den vorherigen Programmen fand ich 1968 ruhiger und melancholischer, auch wenn es krachende und rockige Lieder gab, oft laut gelacht wurde und manchmal ganz viel auf der Bühne los war. Es waren aber einige richtige Zuhörlieder dabei, die nachdenklich machten und berührten. Auch die Zuschauer waren darum nicht so laut und aufgedreht, sondern ließen sich aufmerksam und gespannt mitnehmen. Mir gefiel es sehr gut und ich mochte besonders, wenn Rainald Grebe ruhig und melancholisch sang und ich spüren konnte, dass ihm das Thema wichtig war und ihn beschäftigte.
Allgemein war ihm der Spaß auf der Bühne und beim Agieren anzumerken und zwischen sehr ernsthaften Nummern tauchte sein freches jungenhaftes Grinsen immer wieder auf, was alles locker und persönlich erscheinen ließ. Ich muss allerdings zugeben, dass meine Kritikfähigkeit inzwischen eingeschränkt ist. Wenn Teile des Programmes blöd wären, würde ich das natürlich erkennen, aber ich mag die Ideen von Rainald Grebe grundsätzlich gerne, ich mag seine Stimme und seine persönliche Art, ich bleibe gespannt, denn ich kann nie im Voraus sagen, was gleich passieren wird, ob es laut oder leise wird, ich lache manchmal albern und vergnügt los oder ich lächel sentimental oder bin so gerührt, dass ich fast weine. Die Programme unterhalten mich nicht nur oberflächlich, sondern treffen oft ins Innere. Das mag ich einfach.
Am Ende dann das Lied von Ludwig, dem Vogel Strauß, der fliegt, weil er ein Vogel ist. “Du bist ein Vogel und Vögel können fliegen. Man kann alles, wenn man nur will!” Unglaublich mitreißend und positiv, und für mich eines meiner spontanen Lieblingslieder.
Die Textzeilen gehen mir seitdem immer wieder durch den Kopf und ich sehe die Szene von Rainald Grebe vor mir, mit kraftvoller Energie und dem freudigen Erkennen über grenzenlose Möglichkeiten. Beim großen, lauten Schlussapplaus des kurzweiligen, überraschenden, immer wieder berührenden Programmes, gab es Standing Ovation und bei mir die sichere Erkenntnis, dass Rainald Grebe leider noch mehr Fans gewonnen hat. Außerdem war mir klar: Rainald Grebe wäre ein toller 68er geworden, denn er hat den Rock.