Purple Schulz & Josef Piek - 2-stimmig - 16.05.2004 - Meerbusch

Wasserturm, Meerbusch-Lank

Ich weiß nicht mehr genau, wann es war - vielleicht vor ein, zwei Jahren. Wir fuhren mitten in der Nacht von einer Veranstaltung nach Hause, und im Autoradio lief eine Sendung mit Purple Schulz. Eine nette, sympathische Stimme, wenn er erzählte, und vor allem eine richtig gut gemachte Musik, wenn er mit seinem Partner zu den Gitarren griff und sie live loslegten. Ach ja, dachte ich lächelnd, Purple Schulz. Der war in den 80ern oft zu hören gewesen und ich fand den immer total nett.

“Verliebte Jungs“ war einer seiner fröhlichen, hüpfenden Titel gewesen, aber vor allem “Sehnsucht” mit seinem aufwühlenden Schrei “Ich will raus!!!” hatte mir Gänsehaut verursacht und bis heute ein erschrecktes Gefühl im Bauch, weil da jemand Verzweiflung und Hilflosigkeit so beklemmend und mit einer solchen Gewalt raus ließ. Purple Schulz gab es also noch, und die Musik, die wir aktuell von ihm hörten, machte Lust auf mehr.

Seltsamerweise kam mir Purple Schulz schon immer sehr vertraut vor, obwohl ich ihn noch nie live gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen hatte. Aber er wirkte so normal, und bei seinen Liedern hatte ich das Gefühl, dass er alle Überlegungen, die ich mir noch über mein Leben machen würde, schon gemacht und sehr bewusst Erfolge und Niederlagen erlebt und überdacht hatte. Dem konnte ich nichts vom Leben erzählen, der wusste mehr als ich. Außerdem machte er auf mich den Eindruck eines Menschen, der durchaus Fehler machen konnte, aber immer zu seiner eigenen Meinung stehen und sich nicht verkaufen würde. Eine ziemlich klare Beurteilung von mir über ihn, dafür, dass ich ihn gar nicht kannte und eine Ferndiagnose aufstellte.

Im Gegensatz zu mir hatte mein Gatte schon eine persönliche Begegnung mit Purple Schulz gehabt. Vor etwa 20 Jahren im Baumarkt am Barbarossaplatz in Köln. “Der hat da was ausgesucht - ich glaube in der Holzabteilung”, waren die Angaben, die er bis heute ganz exakt über die Begegnung sagen konnte. Sie hatten zwar weder miteinander gesprochen, noch länger nebeneinander gestanden – der Gatte war nur vorbei gegangen und hatte: „Ah, das ist doch Purple Schulz!“, gedacht, aber immerhin. Wie viele Stunden meines Lebens habe ich damals am Barbarossaplatz gestanden, auf die Bahn gewartet und nie Purple Schulz getroffen! Wäre ich doch mal in den Baumarkt gegangen ... Es gab einiges nachzuholen.

Da uns das Duo “2stimmig” im nächtlichen Radioprogramm so begeistert hatte, fuhren wir nach Meerbusch in den Wasserturm, um uns das längst überfällige Live-Erlebnis mit Purple Schulz und Josef Piek zu gönnen. Ich war gespannt, ob sich Purple noch an die Begegnung mit meinem Gatten im Baumarkt erinnern würde, war da aber nicht sehr optimistisch.

Im Meerbuscher Wasserturm war die Bühne mit einem dickem Teppich dekoriert, auf dem links zwei über Eck aufgebaute Keyboards standen, und rechts ein Stuhl, hinter dem vier Gitarren aufgebaut waren. Die Verstärker waren mit schwarzen Tüchern verkleidet, und zwei kleine, gelb beschirmte Lampen strahlten eine intime Wohnzimmeratmosphäre aus. Das Publikum war dem Teenie-Alter entwachsen. Zum Teil schon etwas länger. Das waren, bis auf einige Ausnahmen, wirklich die Leute, die schon in den 80ern und 90ern mit Purple-Schulz-Musik gelebt hatten. Ich passte da genau rein, dachte aber trotzdem: “Du meine Güte. Da will man als Musiker die Frauen beeindrucken und hat dann plötzlich nur noch diese Jahrgänge im Konzert sitzen.”

Wir lauschten äußerst interessiert und oft breit grinsend der ungewöhnlichen Vormusik, die vor dem Konzert vom Band kam. Als nach einem ‘St. Louis Blues’, gespielt mit Hawaii-Gitarre und zum Teil als Cha-cha-cha tanzbar, Schluss war, sagte der Gatte verwundert: „Ich hätte nicht gedacht, dass Purple Schulz so eine Vormusik hat.” Ich orakelte: “Vielleicht IST das Purple Schulz.” Daraufhin der Gatte: “Wir können ja schon in der Pause gehen, oder?”

Als die beiden Hauptdarsteller des Abends auf die Bühne kamen, waren sie für mich unerwartet in Anzüge und rote Hemden gekleidet, - irgendwie hatte ich Jeans erwartet -, verteilten sich an die wenigen Instrumente, ein Rhythmus startete und sie legten los. Josef Piek an der Gitarre, Purple Schulz am Keyboard. Der Ton war leider zuerst hallig und dröhnend, aber die Musik faszinierte mich sofort. Purples Stimme war weich und sanft, sprang leicht hoch und runter und klang sehr jung. Ja, das war genau der Purple Schulz, den ich mir erhofft hatte! Josef Piek sang oft eine harmonische zweite Stimme dazu oder spielte sogar Mundharmonika.

Bei der Begrüßung duzte Purple das Publikum sofort und versprach: “einen Rückblick auf die deutschsprachige Popularmusik des ausgehenden letzten Jahrhunderts, was sag ich, des Jahrtausends!”, und begann die ersten Takte des nächsten Liedes. “Na, was ist es?”, fragte er dabei ins Publikum. “Keine Antwort?” Er grinste vor sich hin, und während ich noch versuchte die Melodie innerlich in rasantem Tempo bis zum Refrain weiter zu singen, um dort auf die Titelworte zu treffen, hatte er weitergespielt und es war “Nur mit dir”. Wieso hatte ich das nicht gleich gemerkt? So ein schönes Lied hätte ich sofort an den ersten Akkorden erkennen müssen! Um mich herum wurde von vielen Leuten, meist Frauen, leise mitgesungen, aber es war wirklich so leise, dass davon nichts auf der Bühne ankam und das Publikum wahrscheinlich etwas ruhig und träge wirkte. Sehr ausflippend war es allerdings wirklich nicht.

Es gab sehr schöne Lieder, und die beiden Musiker beeindruckten mich, weil sie sehr gekonnt, dazu aber auch emotional und sensibel spielten. Ich hörte auf die Texte, genoss die Musik und fand es richtig, richtig schön. Die Mimik von Purple änderte sich ständig, weil er die Lieder intensiv mitlebte. Er und Josef Piek saßen oft mit geschlossenen Augen da, was vielleicht aber auch am viel zu grellen Bühnenlicht in der ersten Programmhälfte lag, das die heimische Atmosphäre der kleinen Lampen völlig überstrahlte. Die halbe Lichtmenge hätte da schon dicke gereicht.

Die Dynamik war dagegen sehr abwechslungsreich. Stellen mit lautem Gesang, voller Keyboarddröhnung und heftigem Gitarrenschlag wechselten mit ganz leisen, sanften Stellen, an denen die Gitarre perlend gezupft wurde und zarte Töne leicht auflösend im Raum verschwanden. Josef Piek, der die meisten Lieder im musikalischen Bereich mit Purple Schulz zusammen komponiert hatte, wirkte ruhig und zurückhaltend. Er überließ die Hauptrolle dem Frontmann und schien im Hintergrund recht zufrieden zu sein. Seine Gitarrenbegleitung war superklasse.

Ungewöhnlich und sehr lustig war das Lied “Programmänderung”, das von der Sendung mit der Maus handelte, und bei dem Purple eine klackende Stepeinlage (auf dem Teppich!) gab, trötete und schielte. Aber trotz allem Spaß und dem wiederholt leisen Mitsingen bei vielen Liedern blieb das Publikum weiterhin etwas zurückhaltend. Also durchaus sehr zufrieden und glücklich mit dem Abend, aber eher leicht lächelnd, als laut und locker. Außerdem klatschte es gerne auf die 1 und die 3 mit, was nur von einigen kleinen Fraktionen mit der 2 und der 4 ergänzt wurde. Purple kündigte “einen weiteren Höhepunkt des Abends an: Die Pause”, und ergänzte: “Nebenan im Bistro können Sie was trinken. Falls es Ihnen bis jetzt nicht gefällt, können Sie das mit genügend Getränken beeinflussen!” War das Verzweiflung, weil das Publikum ein wenig ruhig wirkte? Er wusste ja nicht, was Meerbusch noch auf Lager hatte.

Nach der Pause ging es mit beruhigend wabernder Hawaii-Musik weiter. Purple saß am Keyboard und wirkte wie der leicht angetrunkene Party-Alleinunterhalter, der in den frühen Morgenstunden auf Dauerbetrieb gestellt war, Josef Piek schrammte gleichmäßig die Gitarre dazu. Nach ewiger Zeit kündigte Purple an: “Jetzt kommt die zweite Strophe!”, und unter dem Gelächter des Publikums ging es genauso weiter. Immer wieder guckte Purple ins Publikum und wäre sicher gerne auf Reaktionen von dort eingegangen, aber es kam nichts. Alle lauschten ihm freundlich und applaudierten am Ende nett.

Als Purple ein Gedicht angekündigt hatte und die Zuschauer erwartungsvoll auf die ersten Worte warteten, setzte im Saal eine leicht verzögerte, aber unbesorgt singende Männerstimme ein: “Rut, rut, rut, sin de Ruuse”, und ein angetrunkener Herr wankte nach vorne. Er beugte sich zu Purple Schulz auf die Bühne und sagte schwerfällig: “Vielen Dank! Entschuldigung. Ich bin ein Meerbuscher.” “Ist überhaupt kein Grund sich zu entschuldigen”, beruhigte der ihn grinsend und fragte etwas leiser, aber durchaus gut hörbar ins Publikum: “Gab’s DOCH Freibier?” Der Mann murmelte etwas. Purple fragte nach: “Karten?.... Seekarten, Speisekarten? ...“ Es gab eine kurze Pause, dann verstand er endlich. „Autogrammkarten? Ich hab jetzt keine, aber nach dem Konzert komme ich raus und bringe Ihnen eine mit.” Etwas skeptisch stieß der Herr ein lautes: “Hoffentlich!” aus und ging langsam an seinen Platz zurück.

Das war fast zu gut, um nicht geplant zu sein. Vorher der Alleinunterhalter an seiner Orgel, plötzlich ein dazu passender Gast. Aber es war das reale Leben in Meerbusch. Purple grinste amüsiert und machte weiter im Programm. Der Mann machte sich hin und wieder bemerkbar, doch als er wieder anfangen wollte zu singen, rief ein Zuschauer freundlich, aber laut und bestimmt quer durch den Saal: “Theo, lass den Purple weitermachen!” und es war Ruhe.

Dafür tauchten kurz danach am anderen Rand des Saales zwei Frauen auf, die demonstrativ gut gelaunte Purple-Fans waren und tanzend, singend und die Gläser schwenkend ihre eigene Show abzogen. Gegen gute Laune war nichts einzuwenden, aber Gekicher, halblaute Gespräche und immer wieder vorab eingesungene Textzeilen störten schon ganz gewaltig. OK, die Zuschauer im Saal waren etwas ZU ruhig, aber das musste ja nicht unbedingt von nur drei Personen ausgeglichen werden.

Einige Zeit danach war das Gänsehaut-Lied “Sehnsucht” dran, das früher so extrem emotional war. Links saß ein angetrunkener, manchmal vor sich hin redender Theo, rechts tanzten zwei überdrehte Theos und vorne sollte Purple Schulz ein Stück seiner Seele zeigen. Er stand am Bühnenrand und hatte ein kleines Xylophon in der Hand. Das Licht war ganz weit runtergedreht, aber eigentlich war es im Zuschauerraum zu unruhig für dieses Lied, und auch der laute Jubel, der nach den ersten gesungenen Worten losging, störte mich gewaltig. Wie kann man dabei eigentlich anders als ganz still und höchstens sehr, sehr leise mitsingend sitzen? Ich konnte das jedenfalls nicht, sondern wollte nur zuhören.

Wunderbarerweise war die musikalische Begleitung extrem reduziert und trotzdem fehlte nichts. Neben Purples Stimme gab es nur eine Gitarre und hin und wieder glockige Töne vom Xylophon, die klar und deutlich durch den Saal drangen. Superschön! Zunächst befürchtete ich, dass Purple das Lied vielleicht etwas emotionsloser “absingen” würde, weil die Atmosphäre nicht stimmte, aber er hatte die Augen geschlossen und schien in sich zu versinken. Die Stimme klang immer gebrochener, zwischendurch löste heftiges Atmen eine beklemmende Spannung aus, und fast am Ende stieß er den Schrei aus: “ICH WILL RAUS!!!”, der so unerwartet laut und schrecklich war, dass mir kurz die Luft wegblieb und ich danach nur noch ein ziemlich fassungsloses: “Wow!” stöhnte.

Ich hatte eine Gänsehaut und mir ging es echt nahe, weil es viel intensiver war, als ich es erwartet hätte. Meine Güte, wie konnte er das Lied einfach so im Programm haben? Mich würde das fertig machen. So ein Lied war anstrengend, aufwühlend und konnte eigentlich keine Routine werden! Wahnsinn, wie er das schaffte! Ich war sehr beeindruckt. Auch das restliche Publikum war endlich etwas mehr aufgewacht und klatschte nach dem Lied donnernd, bis Purple: “Hört auf, hört auf!” rief. Der Herr auf der linken Seite quatschte unverständlich los, und Purple ermahnte ihn kurz: “Theo, hör auf!”, woraufhin er ruhig wurde.

Extra zum Ausrasten sollte es danach “Verliebte Jungs” geben, die kamen allerdings in einer soften, souligen Version mit englischem Text, die keinen Grund zum Ausrasten gab, weil sie einfach nur sanft und schön, aber nicht übersprudelnd war. Am Ende konnte das Publikum beim beatligen “Love, love, love” einsetzen und brauchte drei Durchgänge, bis es richtig kräftig klang und von Purple breit grinsend mit: “Guck mal, Meerbusch brennt!” kommentiert wurde.

Bei “Kleine Seen” wurden abwechselnd die Frauen und die Männer zum Singen aufgefordert, was durch die frauenunfreundliche Tonlage ziemlich unfair war. Ich konnte entweder unten brummen, oder musste mit quietschiger Sopranstimme in der oberen Lage mitmachen. Nachdem Purple die Frauen freundlich in die obere Stimmlage gelockt hatte und dort mit dünnen, hohen Stimmchen singen ließ, lachte er: “Purple und die Schlümpfe” und hatte damit aus akustischer Sicht nicht mal Unrecht. Der danach eingebaute Refrain von “Tränen lügen nicht” war zwar unpassend, konnte aber vom Großteil des Publikums in fast doppelter Lautstärke abgegeben werden, was aber auch an der günstigeren Tonlage lag.

Purple Schulz nahm alles mit Humor und schien nur manchmal leicht den Kopf zu schütteln. Kann aber sein, dass ich das nur so interpretiert habe, weil mir selber manchmal nach Kopfschütteln über die äußeren Umstände war.

Am Ende des Abends hatte ich viele wunderschöne Lieder gehört, zwei tolle Musiker erlebt, und endlich mal Purple Schulz live gesehen. Und irgendwie war der noch netter, als ich das vorher schon gedacht hatte. Es war ein sehr schöner Abend, den sogar der männliche und die weiblichen Theos in Meerbusch nicht wirklich beeinträchtigen konnten.

Wir fuhren gut gelaunt, sehr entspannt und angeregt über den Abend redend nach Hause und werden auf jeden Fall nochmal in ein 2-stimmiges Konzert gehen! Vielleicht erlebe ich es dann auch, dass Purple Schulz nachdenklich meinen Gatten betrachtet und sagt: “Dich kenne ich. Aus dem Baumarkt, oder?”