Wise Guys - 23.01.2005 - Johanneskirche - Köln

Die Konzerte in der Johanneskirche in Köln-Klettenberg waren in erster Linie für die Bewohner aus der Nähe gedacht, die dort Gelegenheit hatten, die Jungs aus “ihrem” Viertel auch musikalisch zu erleben und nicht immer nur den geparkten Wise Guys Van am Straßenrand zu sehen. Die Karten gab es nicht bei Ticketbörsen, sondern nur in der netten, kleinen Buchhandlung Olitzky auf der Luxemburger Straße. Natürlich wurde da auch an Nicht-Kölner verkauft, aber bis die alle angereist waren, waren die meisten Karten an Leute aus der Gegend abgegeben, was ja auch Sinn der Sache war. Komplette Familien mit Oma und Kindern kamen zu den Konzerten im Kirchenraum. 

Verständlicherweise wurde das Nachmittagskonzert vorwiegend von den Familien mit jüngeren Kindern besucht und war dementsprechend unruhiger, auch wenn die meisten Kinder erstaunlich gebannt dem Geschehen im Altarbereich folgten und die Konzerte eine schöne Atmosphäre hatten. Ich selber bevorzugte das Abendkonzert, was nicht nur an der etwas ruhigeren Atmosphäre lag, sondern auch an der kleinen Feier danach. Seitdem die in der ARD-Dokumentation erwähnt wurde, war den Kennern klar, warum die Wise Guys nach dem Afterglow in der kleinen Kellerküche verschwanden und längere Zeit nicht mehr auftauchten. Es wurde dort traditionell nach dem Abendkonzert ein alkoholisches Getränk verkostet, das auf den ersten Blick wie Wasser aussah, aber deutlich heftiger war. Und lustiger machte.

Als wir durch den neben der Kirche liegenden Park zum Abendkonzert liefen, bekam ich einen Schreck. Nein, es stand kein bedrohlich großer, dunkel gekleideter Mann mit Maske über dem Kopf vor mir, sondern die Kirche vor uns sah dunkel und unbelebt aus, obwohl dort eigentlich gerade der Schluss des Nachmittagskonzertes stattfinden musste. War einer der Wise Guys krank geworden und ein einsamer Zettel an der Türe sagte nun, dass die Konzerte abgesagt waren? Wie schade! Aber in diesem Moment dröhnte Jubel bis zu uns in den Park, der gewaltig laut sein musste, wenn er trotz der geschlossenen Türen und dicken Steinmauern so gut zu hören war. Im Näherkommen sahen wir dann auch die Leute im Dunkeln vor der Türe stehen, die auf den Einlass zum Abendkonzert warteten. Kurz danach kamen schon die ersten Nachmittagszuschauer gut gelaunt heraus, kleine Kinder wurden behelmt und auf Fahrradsitze gepackt, und in einem großen Pilgerzug wanderten viele Familien samt Oma und Kleinkindern ins meist naheliegende Zuhause zurück.

Die Wise Guys gaben den restlichen Besuchern noch Autogramme, unterhielten sich und verschwanden anschließend im Keller, um sich mit Pizza für den nächsten Auftritt zu stärken. Währenddessen warteten die Abendvorstellungsbesucher vor der Türe auf den Einlass und wurden, weil das Wetter deutlich schlechter wurde, kräftig beregnet. Erst als sie das durch heftige Klopfsignale und gebrülltes: “Es schüttet!!” klarmachen konnten, wurde die Tür vorzeitig geöffnet. Die Kirche füllte sich schnell, und ich überspringe die nächsten 60 Minuten und mache sofort mit dem Konzertbeginn weiter.

Den Anfang machte der Pfarrer der Johanneskirche, der kurz erzählte, dass andere Gemeinden etwas verwundert auf die regelmäßigen Wise Guys Konzerte in der Johanneskirche blickten und fragten: “Was habt ihr, was wir nicht haben?” Er bot als Antwort drei Möglichkeiten an:
  - Die Wise Guys können zu Fuß zum Konzert kommen und danach wieder nach Hause laufen, weil sie so nah wohnen.
  - Es gibt bei der Nachfeier traditionell Schnaps von Küster Zimmermann.
  - Weil’s so schön ist.
Der Pfarrer wählte die dritte Möglichkeit, nahm aber wohlwollend hin, dass die beiden anderen auch ihre Berechtigung hatten. Er erwähnte noch, dass die Einnahmen des Konzertes an das Indienprojekt von Misereor gingen, wünschte viel Spaß und verließ den Altarbereich. Aber da kamen ihm schon die Wise Guys mit Schwung aus der Sakristei entgegen, so dass es ein bisschen Gedrängel gab, bis er nach links abgegangen und die Wise Guys gegenläufig aufgetreten waren. (“aufgegangen” wäre hier sprachlich schöner gewesen, aber die Wise Guys sind ja weder Blüten noch Hefeteig. Und ich bin auch im Jahr 2005 noch nicht wirklich an ernsthaft seriösem Journalismus interessiert.)

Die Zuschauer klatschten zur Begrüßung laut, lange und begeistert, und auch die für die späte Stunde ziemlich jungen Kinder, die sich auf die extra ausgelegten Teppiche vor der ersten Bank gehockt hatten, freuten sich lautstark. Wo der Pfeffer wächst erklang durch die Kirche, und ich fand den Sound ziemlich gut. Klar, deutlich und gut zu verstehen. Am Ende des Refrains fetzte Dän laut sein “... an den Arsch der Welt!” raus, und ein Kind schlug erschrocken die Hand vor den Mund und drehte sich mit vor Vergnügen blitzenden Augen zu seiner Mutter in der Kirchenbank um. Hatte Mama DAS gehört?? Mir gefiel vor allem, wie Dän den Wechsel zwischen dem zurückhaltend gesungenen und dem heftigeren Teil hinbekam. Yeah, das musste im Refrain so richtig schön sauer klingen, und in diesem speziellen Fall mochte ich einen wütenden Dän sehr gerne und grinste ihn begeistert an.

Sofort danach begann Was für eine Nacht, das am Anfang giftgrün beleuchtet war und darum auch optisch an einen queren, schweren Kopf nach einer langen Nacht erinnerte. Das Publikum war super drauf und klatschte sogar sofort auf 2 und 4 mit. Die Bässe hämmerten und es war eine richtig gute Nummer. Mir gefiel das Konzert schon sehr gut, obwohl ich erst das zweite Lied hörte. Beim Blick auf den Wise Guys Tourplan hatte ich kurz vorher gesehen, dass es für mich ein relativ mageres Konzertjahr werden würde, weil nur wenige Termine für mich gut zu erreichen waren. Ich freute mich darum über jedes schöne Konzert, dass ich jeweils bewusst genießen wollte.

“Was für eine Nacht, das ist beinahe das Motto der Konzerte in der Johanneskirche”, grinste Dän, als der dicke Applaus verklungen war. “Danach die schönen Zusammenkünfte im Gemeindehaus mit dem ...”, er stockte kurz und benannte es dann distanziert: “... GESÖFF... bis zum Zustand der totalen Ökumene.” Die Vorfreude war ihm anzusehen, aber sofort wurde er ernst und blickte auf die jüngsten Zuschauer unmittelbar vor ihm:. “Es ist erschütternd, wie wenig Kinder da sind, im Vergleich zu heute Nachmittag!”

Nach Du kannst nicht alles haben gab es die Zuschauerbefragung. Clemens hatte die Bedienung der Beleuchtungsknöpfe an der Kanzel übernommen und bekam von Dän als Anleitung: “AN ist die 1, AUS ist die 2” zugerufen. Das Licht reagierte etwas verzögert, bequemte sich dann aber doch, und Clemens hinter der Kanzel sah nicht fehl am Platze aus. Natürlich waren die Ergebnisse der Zuschauerbefragung wie erwartet: Einige Neuhörer, sehr viele Mehrfachhörer, die meisten davon aus der nahen Umgebung. Außerdem ein Hamburger, der aus wer weiß was für Gründen ausgerechnet in die Johanneskirche gekommen war.

Es konnte mit Berlin weitergehen, dem sofort Monica folgte. Die Kinder auf den Teppichen lauschten aufmerksam dem Text von “Monica” und verstanden vermutlich nicht, um was es ging. Aber sie lachten herzlich mit, weil die Erwachsenen lachten und weil die Wise Guys so lustig aussahen. Der Vortrag war locker, flockig und witzig und erhielt viel Applaus. Meine Güte, wie Sari da mit seinen Hüften im Samba-Rhythmus wackelte, der sollte den Karneval doch glatt mal in Rio verbringen!

Dän sagte an: “Jetzt, an dieser Stelle eine Ballade”, und von Sari und Ferenc kam ein kurzes, grunzendes Gelächter. Dän betonte: “Barlade”, aber ich hatte keine Ahnung, was jetzt warum lustig war. Nur dass die Wise Guys albern wurden und ungewöhnlich viel grinsten, konnte ich sehen. Wahrscheinlich als Folge der leichten Übermüdung durch zwei aufeinander folgende Konzerte. Na, mir war’s recht, ich mochte diese Stimmung bei ihnen. Das wär’s gewesen war dann aber überhaupt nicht albern, sondern superschön. Ich merkte, wie meine Atemfrequenz runterging, was bei mir immer ein Zeichen für absolute Entspannung bei sehr schönen Liedern ist. Wirklich wunderschön! Zwei Strophen mehr, und ich wäre vermutlich wegen Sauerstoffmangel laut polternd aus der Bank gekippt.

Sari hatte bei Das war gut natürlich wieder sein Fettflecken-T-Shirt an, von dem ich durch die Performance aber völlig abgelenkt wurde. Außerdem gewöhnte ich mich langsam dran, registrierte es nur noch, fühlte kurz hausfrauliche Tugenden in mir aufsteigen, die ich jedoch sofort unterdrückte. Solange der junge Mann so mit seinen Hüften kreisen konnte, war es eigentlich egal, wie sein T-Shirt aussah. Man konnte eben Sexappeal haben und sich trotzdem die Hände nach dem Frittenessen plump am T-Shirt abwischen.

Eine erhöhte Konzentration wurde von den Darstellern bei Achtung! Ich will tanzen verlangt, denn im schmalen Altarraum gab es eine Stufe, die in die Choreographie eingebaut werden musste. Die große gemeinsame Drehung, bei der die Wise Guys nebeneinander einen 360-Grad-Kreis machten, löste ringsherum vergnügtes Gelächter aus, aber es klappte sehr gut. Die Kinder freuten sich über den “Groove auf die Fresse”, und ich stellte mal wieder fest, dass Wise Guys Texte nur bedingt kindergartentauglich sind. Am Ende des Liedes stolperte Ferenc entweder über die Stufe oder über Sari, lachte lautlos los, bekam vor unterdrücktem Lachen einen roten Kopf und lief lachend in die Sakristei, um sich dort zu beruhigen. Schnell kam er von da unverletzt und mit relativ ernster Miene wieder zurück. Es konnte im Programm weitergehen.

Die Powerfrau löste Begeisterung aus und zusätzlich lautes Gejubel, als Sari sich in Pose warf und sein Bauch unter dem T-Shirt hervorblitzte. Danach Du bist dran, was wieder sehr witzig beim Zusehen war. Es machte total viel Spaß, und auch die Wise Guys drehten auf und spielten die Szenen und ihre Gemütszustände wunderbar aus. Clemens schubste Eddi mit seinem Bauch weg, was lustig war, weil beide eigentlich keinen hatten.

Da die Einnahmen der Johanneskirchenkonzerte in diesem Jahr an Misereor gingen, kam Eli Kleffner auf die Bühne, die kurz zuvor zusammen mit den Wise Guys in Indien gewesen war, um das von ihnen unterstützte Butterflies-Projekt anzusehen. Sie berichtete kurz darüber und nahm einen Scheck über 8000,- Euro entgegen. Neben ihr standen die jungen Helfer, die am Misereor-Stand halfen, und sie erzählte den Wise Guys: “Die jugendlichen Promotoren haben ganz viel Spaß mit euch”, woraufhin in der Kirche wachsendes Gelächter einsetzte und die Wise Guys die aufkeimende Vermutung über außerdienstliche Beziehungen schnell und fröhlich grinsend abwinkten. Eli Kleffner wies noch auf ein Projekt der Johanneskirche hin, bei dem Paten für Kindergartenplätze in der Gemeinde gesucht wurden, und Dän schlug vor: “2 Euro für Misereor und Kindergartenplätze - vielleicht dann heute keine CD”, und zuckte mit den Schultern.

Das letzte Lied vor der Pause war Nur für dich, und Clemens kam aus dem Seitenbereich geschlurft und hatte den Kopf vorher vermutlich ins Weihwasserbecken getaucht. Gab es in evangelischen Kirchen Weihwasserbecken? Ansonsten musste er sich ein Glas Wasser über die Frisur geschüttet haben, denn die Haare klebten nass und klatschig an der Stirn. Zusammen mit der zugeknöpften Jeansjacke und dem trübsinnigen Gesichtsausdruck wirkte das alles wunderbar blöde.

Wie immer machte das Lied den Zuschauern besonders viel Spaß. Ich liebte die Stelle, an der beim Wort “Zahnbürsten” alle einen hohen Satz in die Luft machten, der wunderbar synchron war. Schnell war das Ende des ersten Konzertteiles erreicht und die Pause stand im Raum. Beziehungsweise, die Zuschauer machten Pause, indem sie im Foyer standen. Sie standen also in der Pause, die im Raum stand. Oder so. Ist ja auch egal.

Nach der Pause stand keiner mehr, außer den Wise Guys, die im Dunkel des Altarbereiches geheimnisvoll an leicht bläulichen Umrissen zu erkennen waren. Als das Bühnenlicht aufleuchtete, begannen sie mit Früher. Wo waren die synchron gehobenen Arme geblieben? Nicht, dass sie wichtig für die Nummer waren, aber sie hatten mir recht gut gefallen und im Refrain Spannung aufgebaut, wenn sie langsam gehoben und gesenkt wurden.

Es ging gleich mit dem Ohrwurm weiter, der mir persönlich langsam zu den Ohren rauskam, der von der Mehrheit der Zuschauer aber immer noch sehr geliebt wurde. Während am Ende laut applaudiert wurde, verschwand Dän in der Sakristei. Das Zuschauergeklatsche versiegte, und ich guckte gespannt die vier verbliebenen Guys an und überlegte, wer von ihnen die nächste Anmoderation machen würde. Sie guckten aber nur etwas abwartend und hilflos, bis Dän in diesem Moment im Laufschritt auf die Bühne zurückkam. “Ich hab den Handsender vergessen,” erklärte er seinen Kollegen und murmelte ins Publikum: “Ich dachte, dass Sie etwas länger klatschen und ich Zeit genug hab’...” Eddi motzte halblaut los: “Sag doch Bescheid, dann geht einer von uns!” Dän: “Ich dachte, es wird mindestens eine Minute lang geklatscht.” Er wandte sich ans Publikum: “Es gibt Spannungen.” Dann presste er unterdrückt heraus: “Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr!!” und erklärte grinsend: “Wir sind’n bisschen durch. Wir haben schon eineinhalb Konzerte hinter uns.” Die Zuschauer lachen vergnügt, und Dän erklärte ihnen mit Hilfe des Handmikrofones, wie man Mouthpercussion macht.

Die Demonstration ging sofort zu Einer von den Wise Guys über, und die Kinder auf dem Teppich beobachteten völlig regungslos, wie genau vor ihnen Eddi und Sari ihre Pissoir-Szene darstellten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie quietschend gelacht hätten oder kreischend auseinandergesprungen wären, aber dieses stumme Beobachten fand ich dann doch seltsam. Aber auch witzig.

Die Chocolate Chip Cookies zeigten, dass Plätzchenbacken und vor allem Bäcker nicht langweilig sein müssen. Clemens knöpfte sein Hemd fast bis zum Bauchnabel auf und zeigte einen glatten, wohlgeformten Oberkörper, der ein wenig von der Butter und den anderen Zutaten ablenkte. Obwohl schwarze Kleidung bei der Verarbeitung von Mehl fast immer optisch ungünstig ist, würde ich die Jungs bei mir auch nicht unbedingt in bunte Schürzen zwängen.

Allerdings hatte Clemens sich mit seinem für die Cookies weit aufgeknöpftem Hemd etwas zu viel zugemutet, denn während seiner Strophe bei Zu spät bekam er es nicht wieder komplett zugeknöpft und musste die restlichen Knöpfe danach während der nächsten Anmoderation schließen. Der Juli kam, zumindest in musikalischer Form, und ich überlegte kurz, was die Wise Guys im Monat Juli machen. Am 4. Juli “Wenn schon Juli wär” zu singen, wäre zwangsläufig komisch. Genauso wie am 5. oder am 17. Juli. Ich könnte noch mehr Tage nennen, an denen das Juli-Lied eher lustig wäre, aber ich glaube, dass die jeder in seinem Kalender nachgucken kann. Wobei mir gerade auffällt, dass die Wise Guys nur am 2. Juli ein Konzert geben und den restlichen Monat frei haben. Hah! Ich weiß warum! Jetzt noch ein Lied “Bald ist August” und “Wär doch erst September”, dann gäbe es demnächst immer richtig schön lange Ferien für sie!

Am Ende von “Juli” kam wieder ein Stofftier aus der ersten Fanreihe geflogen. Ein grüner Frosch, der quaken konnte. “Den behalt ich diesmal!” beschloss Dän und trug ihn in Sicherheit. Eddi hatte die nächste Ansage: “Wir wollen Sie in eine andere Zeit versetzen ...,” begann er sehr ernsthaft und wurde unsanft von Dän unterbrochen: “Das war zu pastoral. Mach nochmal!” Eddi wiederholte den Satz mit einer etwas lebendigeren Stimme und setzte “Besser?” hinterher. Dän nickte einigermaßen zufrieden: “Ja.” Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf kam, und ich schreibe nicht viel darüber, weil es so gut wie immer war und auch so gut ankam.

Bei Sing mal wieder hatte Eddi anscheinend eine Autohupe in Indien gehört, die ihn sehr fasziniert haben musste, denn er sang sie in Varianten vor und die Zuschauer mussten nachhupen. Seine Kollegen hatten dabei ebenso viel Spaß wie das Publikum.

Die Anfangstöne von King of the road, die von Dän ins Handmikro gedumt wurden, waren so leise, dass Ferenc sich zunächst verwundert zu ihm umdrehte, aber dann doch termingerecht einsetzte. Eddi kippte einmal überraschend von seiner Stufe, worüber er selber am meisten lachen musste, und am Ende wurde Ferenc laut und lange umjubelt. Ein Scheinwerfer warf einen hellen Kreis um ihn, in dem nur von der Seite noch Eddis Arm zu sehen war, der auf den Hauptdarsteller deutete. Ich hatte den starken Verdacht, dass die anderen Vier das ganz bequem ausnutzten, wenn Ferenc den Jubel der Massen entgegennehmen musste und sie in der Zeit gemütlich herumstehen und etwas trinken konnten.

Allerdings übertrieben die Kollegen es diesmal und heizten den Jubel immer wieder an. Dän und Eddi deuteten sogar eine kleine La-Ola-Welle neben Ferenc an, die von einem Teil des Publikums sofort übernommen wurde, was Eddi wiederum verblüfft gucken ließ. “So, jetzt wird’s ihm langsam unangenehm”, bremste Dän die Zuschauer behutsam runter. “Er leidet.” Der Applaus flammte noch einmal demonstrativ auf und Ferenc flüchtete in die Sakristei. Dän grummelte: “Na super! Jetzt haben Sie’s geschafft!” Natürlich kam Ferenc schnell wieder zurück und genauso natürlich johlte das Publikum wieder los. Kurzentschlossen betrat Ferenc die Kanzel, breitete die Arme aus und empfing breit grinsend den losbrechenden Jubelsturm. Er verließ die Kanzel, der Applaus hörte fast sofort auf, und nur in der ersten Sitzreihe war gerade noch eine La-Ola gestartet worden, die laut “UUUUUUAAAAA ...” begann, und dann zu einem kleinen, verschämten “… aah” abgewürgt wurde. Dän kommentierte: “Habt ihr Angst bekommen, am Ende” und grinste breit.

Er verabschiedete sich: “Wir sind jetzt am Ende unserer Konzertreihe angekommen, die heute Nachmittag begonnen hat” und wies auf den Afterglow hin: “Kommen Sie doch runter in den Keller. Sie können uns Gesellschaft leisten, bis sich die Küchentüren schließen!” und ein breites, Vorfreude-Grinsen zog sich über sein Gesicht. Aber zunächst war noch Deutscher Meister dran, bei dem das Mitsingen offiziell erlaubt wurde. Das Lied begann, und nach der ersten Textzeile sagte Dän schnell: “Ich sagte, dass Sie mitsingen dürfen!” Nach der zweiten sagte er: “Sie müssen aber nicht”, und nach der dritten: “Sie müssen sich nur entscheiden!” Die Zuschauer lachten und entschieden sich in der Mehrzahl für das Mitsingen in halblauter Stärke.

Die Wise Guys freuten sich entweder auf das Ende des Konzertes oder auf den Schnaps und wurden alberner. Beim Schunkeln versuchten sie sich erst aus dem Gleichgewicht zu bringen, dann stupsten sich Eddi und Sari immer wieder in die Seite. Sari hatte dabei Lachanfälle und Eddi sah zwischendurch aus, als müsste er platzen. Ich grinste breit, als das Publikum um mich herum ganz korrekt und wunderbar ausgeprägt mit rheinischer Aussprache “ZweiundseSCHziSCH Pfund” sang.

Pünktlich zum Schlussakkord standen fünf Damen vor der Bühne, die langstielige Rosen zum Überreichen in den Händen hielten. Leider hatte ihnen keiner gesagt, dass die Wise Guys zunächst einmal programmgemäß mit Gepfeife und Getrommel die Bühne verließen. Das war fast wie bei Loriot. Die Damen mit ihren Blumen in der Hand standen vor der Bühne und starrten auf die pfeifenden und trommelnden Wise Guys, die an ihnen vorbeizogen, dabei ganz ernst blieben und mit großen Augen auf die Damen guckten. Sie mussten seltsame Spielmannszug-Geräusche machen und konnten nichts erklären - eine Szene, die ich total witzig fand. Clemens brach am Rand aus der Formation und flüsterte, halb hinter die Kanzel hockend, einer der Damen den besseren Überreichungstermin zu.

Irgendwie hatte ich es in der Kirche nicht erwartet, aber Live and let die kam als Zugabe. Die Stufe im Altarbereich machte es noch etwas spannender, weil sie im Dunkeln und bei Stroboskop-Licht bewältigt werden musste. Wie echte James Bonds blieben die Wise Guys lässig und cool, stolperten nicht und knallten auch nicht platschend auf den Bauch. Es war sogar richtig spannend, und als altvertraute Zuschauerin ließ ich mich doch wieder mitreißen. So spät am Abend gab es damit ein Betthupferl für die Grundschulkinder vor der Bühne, bei dem aus der Dunkelheit vor ihnen plötzlich grelle, fratzenhafte, von roten Scheinwerfern beleuchtete Wise Guys Gesichter auftauchten und körperlos durch die Gegend tanzten. Die beste Garantie für Albträume. “Aaaaaa, Mami, ich hab von einem Wise Guy geträumt!” “Ach, du armer Schatz! Wir lassen jetzt das Licht an, dann bleibt der böse Wise Guy draußen! Und wenn er wiederkommen will, stecken wir ihn in einen Sack und klopfen drauf!” Oder so.

Endlich konnten die Damen ihre Rosen am Ende des Liedes überreichen, und die Wise Guys sangen noch Rasier dich. Den Blicken von Ferenc und Sari sah man an, dass sie aufgedreht waren. Sie machten sehr laszive Bewegungen, guckten sich intensiv an und es lag Spannung im Raum. Nach der Tanzszene schleuderte Ferenc Sari mit Schwung bis in die Sakristei und wartete ab, was geschehen würde. Sari kam mit Sonnenbrille auf der Nase wieder, ging kraftvoll auf Ferenc zu, der kurz vor dem Zusammentreffen die Hand hob, einmal schnippte und damit den Scheinwerfer ausmachte. Sari blieb verblüfft stehen, Ferenc schnippte den Scheinwerfer an und sofort wieder aus. Dann schubste er Sari zur Seite, stellte sich in die Mitte, schnippte und stand alleine im Licht. Sari grinste vergnügt, stellte sich neben ihn und so waren sie beim Schlussakkord wieder friedlich vereint.

Mit Jetzt ist Sommer hörte das Konzert auf, wobei es eine langsame Version war, die das Aufstehen eigentlich gar nicht nötig machte. Aber die Johanneskirchenbesucher waren bei den ersten Tönen fast alle aufgestanden und blieben darum stehen und klatschten beim soften Tempo mit. Es war allerdings weder richtig karibisch-lässig, noch mitreißend schnell, so dass mir nicht ganz klar war, ob ich nun ein leicht ausflippen, oder mich ruhig hin- und herwiegen sollte.

Das Publikum machte trotzdem freudig mit, und zum allerletzten Abschluss gab es dann noch die Ohrwurm -Abschluss-Strophe, nach der aber wirklich das Ende erreicht war. Unter Jubel und lautem Geklatsche gingen die Wise Guys nach links in die Sakristei ab, und die Zuschauer erhoben sich und schoben sich langsam der Engstelle Ausgang zu. Im oberen Foyer war Afterglow, dann auch noch unten im Kellerraum, aber schließlich war es so leer geworden, dass die Wise Guys ihre Nachfeier in der Küche begannen. Ehe es da interne Einblicke gibt, aber erst die Liste der Lieder vom Abendkonzert:


Wo der Pfeffer wächst
Was für eine Nacht
Du kannst nicht alles haben
Berlin
Monica
Das wär’s gewesen
Das war gut
Achtung! Ich will tanzen
Powerfrau
Du bist dran
Nur für dich

Früher
Ohrwurm
Einer von den Wise Guys
Chocolate Chip Cookies
Zu spät
Juli
Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf
Sing mal wieder
King of the road
Deutscher Meister
Live and let die
Rasier dich
Jetzt ist Sommer
Ohrwurm-Reprise


Die Nachfeier in der gemütlich gelb gekachelten Küche mit dem Schnaps von Herrn Zimmermann verlief vorbildlich und korrekt.
Es wurden schwermütige, slawische Lieder angestimmt,

Fotos der Beteiligten gemacht,

gesungen, gelacht und Töne gemacht,

und Herr Zimmermann spielte geduldig auf dem Akkordeon.

Und am Schluss hatten sich alle lieb und gingen glücklich nach Hause.